VON ANNA ABRAHAMWenn Schwester Nicole von der Welt außerhalb des Klosters spricht, sagt sie normal und macht Anführungszeichen mit ihren Fingern. „Normal“, das ist die Welt, aus der die 14 Schüler und zwei Lehrer vom Bischöflichen Gymnasium Josephinum kommen. Für die „Tage religiöser Orientierung“– kurz TRO – haben sie ihre normale Welt mit der Welt des Klosters vertauscht und sind ins Gästehaus der evangelischen „Communität Christusbruderschaft“ in Selbitz eingezogen.
Ihr Lächeln ist das Markenzeichen von Schwester Nicole. |
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Auf der Zugfahrt von Hildesheim nach Selbitz in Franken unterhalten wir uns über unsere Erwartungen und Vorurteile. Abgeschottet, dunkel, fromm. Doch diese Wesen in Grau faszinieren auch. „Ora et labora“ nennt sich ihr Programm, angelehnt an die Regel des heiligen Benedikt.
Wir alle sind freiwillig mitgefahren, konnten insgesamt aus fünf Projekten auswählen – und haben uns für das Klosterleben entschieden. Einer unserer Jungs hofft auf „gutes Essen“ aus der Klosterküche, anderen gefällt die weite Entfernung von zu Hause und vom Alltag. Merle Rischmüller und Caroline Ellerhoff freuen sich auf viel frische Luft und darauf, einfach mal einen neuen Lebensstil kennenzulernen.
Gemeinschaft ist den Schwestern ganz wichtig
Anders ist das Leben hier auf jeden Fall. In der Communität in Selbitz leben 107 Schwestern und drei Brüder. Der Tag beginnt um acht Uhr mit der ersten Gebetszeit, die nächste ist vor dem Mittagessen und abends gibt es auch noch eine.
In meinem Alltag spielt Konsum eine große Rolle. Die Schwestern dagegen haben pro Monat nur 15 Euro zur Verfügung. Wir sind es gewohnt, in unseren Familien zu leben, das ist übersichtlich, da kann man sich auch mal aus dem Weg gehen. Bei den Schwestern ist Gemeinschaft ganz wichtig. Wer mit 60 anderen auf engem Raum lebt, muss auch Meinungsverschiedenheiten aushalten.
Während der Tage im Kloster begleitet uns Schwester Nicole. Als Symbol für die drei Grundtugenden Armut, Keuschheit und Demut trägt sie eine Kordel mit drei Knoten um die Hüften – wie einen Gürtel. Wer in Selbitz im Kloster leben möchte, darf beim Eintritt nicht älter als vierzig sein und muss mindestens drei Jahre Berufserfahrung haben.
Im Gegensatz zu anderen Orden bereitet man sich hier im Kloster noch nicht auf den „geistlichen Tod“ vor, wie Schwester Nicole das Aussterben durch Nachwuchsmangel bezeichnet. Alle ein, zwei Jahre nehmen sie eine neue Novizin auf. Dazu tummeln sich auf dem Gelände, zu dem auch ein Altenheim gehört, FSJler, Konfirmanden, Sinnsuchende, Klostertester auf Zeit und eben wir, ein Haufen 17- und 18-jähriger Schülerinnen und Schüler.
Lächeln – bei der Arbeit und beim Gebet
Mir fällt schnell auf, dass die meisten mit einem Lächeln unterwegs sind, egal ob bei der Arbeit oder beim Gebet. Genauso wie Gartenschwester Heidi. Die braungebrannte, herzliche Frau versorgt uns mit „Labora“, mit Arbeit. Sie verteilt uns über das große Gelände, um eine Weidenkapelle zu restaurieren oder Löcher zu graben. „Da sollen Büsche und Blumen eingepflanzt werden, unter anderem Rosen“, erklärt Heidi.
Nach den stressigen Schulwochen stellt die körperliche Arbeit einen guten Ausgleich dar. Als wir im Wald stehen und Zweige mit der Gartenschere abschneiden, fühlen wir uns frei. Ohne Einschränkungen ziehen wir umher und doch hatten wir einen klaren Auftrag, Stangen für die Weidenkapelle zu schneiden. Gerade als wir richtig dabei sind, voller Energie und Elan und mit dem Willen, fertig zu werden, holt uns Schwester Nicole wieder ab. „Recreatio“, lautet die Antwort auf unser „Warum?“. Sie berichtet, dass auch sie von der Gebetsglocke oft aus ihrem Tun gerissen wird und sich dann langsam auf den Weg macht, denn „wer zum Gebet rennt, kommt am besten gar nicht“, erklärt sie.
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Caroline Ellerhoff schneidet Zweige für den Neubau einer Weidenkapelle im Garten des Klosters Selbitz. |
Nach getaner Arbeit freuen sich die Schülerinnen über die fertige Weidenkapelle. |
Kloster ohne Jahrhunderte alte Tradition
Mit ihrem Eintritt ins Kloster hat Schwester Nicole ihre Prioritäten klar gesetzt. Um als Ordensgemeinschaft auch einmal für sich zu sein, gibt es die Unterteilung in „Klausur“, also nur für die Nonnen, und den Gästebereich mit eigener Kapelle. Nun gilt es, still zu werden, Gespräche verstummen und wir setzen uns auf die Stühle. „Gregorianisch“ nennen sie ihre Art, Gott zu loben. Im Klartext bedeutet das, Psalmen im Sprechgesang vorzutragen. Besonders setzen sie dabei auf Stille und Wiederholung. Nach jedem Vers folgt eine Atempause, dieselbe Bibelstelle eine Woche lang. Texte und Rituale sind in einem eigenen blauen Ringbuchordner gesammelt.
Auf eine Jahrhunderte alte Tradition kann das Kloster Selbitz noch nicht zurückblicken. Eine Nonne gehört sogar noch zur Gründergeneration. Über 90 ist sie und montierte beim ersten großen Kirchraum die Dachlatten. Der Raum nebenan ist sogar noch ein wenig älter – der erste Versammlungsraum. In dem kleinen, rechteckigen Zimmer mit ungefähr dreißig Stühlen und ein paar Tischen erzählt sie uns von der Geburtsstunde der „Communität Christusbruderschaft“. Am Karfreitag 1949 saß eine Gruppe junger Menschen zusammen mit ihrem Pastor Walter Hümmer und seiner Frau Hanna unter dem Dornenkranz, als Gott zu ihnen sprach: „Heute wurde ein Orden unter euch gegründet.“ Daraufhin bemühten sich die zum großen Teil noch Minderjährigen, ihre Eltern davon zu überzeugen und im Gemeindehaus einzuziehen.
Was sich zunächst nach einem Mysterium anhört, führte zu einem jahrelangen Kampf mit der evangelischen Kirche. Denn die hatte bisher gedacht, ohne abgegrenzte Orden auskommen zu können. Aber nach den Erfahrungen des NS-Regimes war der Wunsch in den Jugendlichen so stark geworden, eine neue Art von Gemeinschaft aufzubauen, dass ihr Bemühen bald zumindest anerkannt wurde.
Nicole erzählt weiter von der Anfangszeit, wie die Mitglieder der Gemeinschaft in den ersten Jahren zu acht in einem Zimmer schliefen, das auch noch geräumt werden musste, wenn Gäste kamen. Wir staunen. Und sie berichtet davon, dass sie auf das hören, was Gott ihnen sagt. „Ihr könnt also Gottes Stimme wirklich hören?“, fragt jemand. „Es ist von Person zu Person unterschiedlich“, meint Nicole, „manche hören Stimmen, andere sehen Bilder oder fühlen Dinge durch das Gebet.“
Dreimal darf man eine Aufgabe ablehnen
Zu wem Gott spricht, der gehorcht! Dieses „Sendungsprinzip“ setzt sich auch im Orden durch. So ist die Gemeinschaft in einzelne Zellen unterteilt, die sich wöchentlich treffen. Alle in Selbitz anwesenden Schwestern setzen sich einmal im Monat zusammen, Entscheidungen laufen demokratisch ab, dazu wählt man eine Gruppe von Prioren, eine Art Leitungsteam. Schicken diese einen zu einem neuen Aufgabengebiet, hat man zwar dreimal die Möglichkeit, nein zu sagen, aber meistens folgt man, wie zum Beispiel Heidi. Bevor sie zur Gartenschwester wurde, arbeitete sie als Altenpflegerin und hatte nach eigener Aussage „keinen grünen Daumen“. Im Moment ist sie für sämtliche Grünanlagen verantwortlich, züchtet verschiedene Sorten Tomaten und versucht auch sonst, die Küche möglichst autark zu versorgen. Mit der Zeit wuchs sie in die Tätigkeit hinein und holte sich zum Beispiel Hilfe aus dem Dorf Selbitz, lernte dort einmal wöchentlich in einer Gärtnerei. Noch heute helfen ihr diese Verbindungen, denn „daraus sind Freundschaften entstanden“.
Während Schwester Constanze bei einem Frageabend deutlich macht, dass die Mitglieder des Ordens allgemein weniger Zeit für Verbindungen außerhalb der Gemeinschaft haben, berichtet Schwester Nicole, dass sie noch an der Uni Erlangen in den Bereichen Theologie und Geschichte arbeitet. Unter anderem finanziert sich mit ihrem Gehalt der Orden, denn von der Landeskirche bekommen sie nichts. Die zweite Säule der Finanzierung bilden Spenden und die dritte das Gästehaus.
Schließlich beantwortet Nicole auch die Frage nach der Keuschheit. Die Enthaltung gibt ihr Freiheit, sich auf anderes zu konzentrieren. Verständnis für den Wunsch nach Familie hat sie trotzdem. Und wenn Schwestern oder Brüder sich doch einmal verlieben, dürfen sie dieser Berufung folgen – nachdem sie aus der Gemeinschaft ausgetreten sind.
Gut, dass es die Möglichkeit des Lebens im Kloster gibt
Andere Fragen, wie nach ihren konkreten Gründen für den Eintritt in die Gemeinschaft, umschifft Nicole zwar ein bisschen, doch insgesamt sind viele Schwestern sehr aufgeschlossen und antworten gern. „Einmal eingetreten sind wir immer öffentlich und repräsentieren den Orden“, betonen die Schwestern. Wer in Selbitz oder einem der Schwesterklöster lebt, steht zu seiner Entscheidung für den Glauben und dieser Art von Familie.
Nach drei Tagen Arbeit steht die kleine Weidenkapelle wieder und im Garten findet man 100 neue Löcher, die demnächst bepflanzt werden sollen. „So viel wie in diesen zwei Tagen habe ich noch nie gebetet“, meint Caroline Ellerhoff. Doch eintreten möchte sie dennoch nicht. „Aber ich finde es gut, dass es in unserer Gesellschaft diese Möglichkeit des Lebens im Kloster gibt.“
Zum Abschied winkt uns Schwester Nicole noch einmal zu. Wir fahren zurück in unseren „normalen“ Alltag. Während sie zurückbleibt – im Frieden mit sich und mit Gott. Als wir das Kloster verlassen, beginnen die Glocken zu läuten und rufen Nicole und die anderen Schwestern zum Mittagsgebet.