Gymnasiasten des Josephinums haben sich eineinhalb Jahre mit der Feldpost beschäftigt
Hildesheim (cha). Dorothea und Josef Wiechens müssen ein durch und durch vertrautes Ehepaar gewesen sein. Ein Paar, das Freud und Leid teilte. Und das sich ganz nah stand, auch wenn Tausende Kilometer zwischen den beiden lagen. Selbst der Zweite Weltkrieg vermochte keinen wirklichen Keil zwischen die Liebenden aus Groß Förste zu schieben.![]() |
"Vorbilder für die ganze Familie": Verena Wiechens mit dem Hochzeitsbild ihrer Großeltern. Foto: Harboth |
Schließlich gab es die Feldpost, die die Nachrichten von der Front in die Heimatdörfer und umgekehrt zurück zu den Soldaten brachte. Dorothea und Josef Wiechens heirateten im harten Kriegsjahr 1944. Ihr anschließender Briefwechsel ist ein einmaliges Dokument, ein Spiegel der damaligen Ereignisse. Was das Ehepaar, das heute nicht mehr lebt, vor mehr als sechs Jahrzehnten austauschte, weiß Enkeltochter Verena Wiechens inzwischen ganz genau. Sie hat die Briefe, Postkarten und Telegramme ihrer Großeltern für ihre Facharbeit am Gymnasium Josephinum ausgewertet.
Ihren Opa kennt sie nur aus Erzählungen. Und ihre Oma starb, als sie zehn Jahre alt war. Und doch ist sie ihren Großeltern in den vergangenen eineinhalb Jahren vermutlich näher gekommen, als manch anderer Mensch seinen Altvorderen. Ihre Ergebnisse hat Verena Wiechens am Mittwochabend in der Schule vorgestellt. Zusammen mit weiteren Mitschülern, die wie sie überwiegend Feldpost ausgewertet haben. Die Ergebnisse sind ab sofort unter dem Titel „Die Weltkriege im Spiegel von Einzelschicksalen. Feldpostbriefe aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“ im Josephinum zu sehen.
Mindestens 30 Milliarden dieser Sendungen sollen während des Zweiten Weltkriegs zugestellt worden sein. „Über Gewaltexzesse wurde darin überwiegend geschwiegen“, sagt Geschichtslehrer Torsten Memmert. Allerdings fehlt es mitunter nicht an Eindeutigkeit. „Ich muss in Rätseln schreiben, es geht nicht anders, es werden jetzt viele Briefe geöffnet. Bald wird sich der Schleier öffnen und Du wirst staunen“, schreibt etwa Josef Wiechens in seinem Brief, den seine Enkeltochter Verena heute unter der Nummer 305 führt. Mit Brief 306 endet ihre Sammlung.
Am Anfang beschönigt Josef Wiechens noch die Lage in Russland. Es sei mit Minus 20 Grad zwar kalt, aber sie hätten ja warme Winterkleidung, schreibt er seiner Frau in der Heimat. Und er schickt sogar mit der Feldpost Essensmarken mit. „Er wollte ansatzweise seiner Rolle als Ernährer nachkommen“, glaubt seine 17-jährige Enkelin Verena. „Es war ein symbolisches Band der Liebe.“
Nicht alle der Gymnasiasten haben das Glück, mit ihrer Geschichts-Facharbeit auch gleichzeitig ein Stück Familiengeschichte aufzuarbeiten. Dass ihre Ergebnisse trotzdem nicht weniger spannend sind, hat zum Beispiel Stefanie Sprenger festgestellt. Sie hat sich drei Zeitzeugen gesucht, deren Kriegserlebnisse sie schildert.
Geschichtslehrer Memmert lobt die Fleißarbeit seiner Schüler. „So wird Geschichte lebendig.“ Schulleiter Benno Haunhorst zeigt sich ebenfalls beeindruckt. „Es geht hier auch um Erinnerungen, die man wach hält.“ Schülerin Verena Wiechens hat über das Studium der Briefe auch einen neuen Zugang zu ihren Großeltern bekommen. „Mein Großvater glaubte nicht daran, dass Deutschland siegt.“ Trotz der Gleichschaltung im gesamten Reich hätten er und seine Frau relativ offen geschrieben, was sie über den Zweiten Weltkrieg dachten. „Sie sind Vorbilder für meine ganze Familie.“
Die Ausstellung „Die Weltkriege im Spiegel von Einzelschicksalen. Feldpostbrief aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“ ist bis Ostern im Obergeschoss des Gymnasiums Josephinum, Domhof 7, zu sehen. Wer sich Erklärungen der Schüler zu den Vitrinen-Inhalten wünscht, muss sich vorher telefonisch in der Schule anmelden. Dies ist unter 17950 möglich.